Natur, Kultur und Zivilisation. Eine begriffliche Definition.

Bild zur Kultur
Symbolbild

Die Begriffe Kultur und Zivilisation werden oft synonym verwendet, unterscheiden sich jedoch in ihrem Bedeutungsumfang, insbesondere in der archäologischen und anthropologischen Forschung. Im Zusammenhang mit der Vorgeschichte sind die beiden Begriffe hilfreich, um verschiedene Stufen menschlicher Entwicklung zu beschreiben.

1. Kultur:

Der Begriff Kultur bezieht sich in der Archäologie und Anthropologie auf die Lebensweise, Bräuche, Glaubenssysteme und materiellen Hinterlassenschaften einer bestimmten Gruppe von Menschen in einer bestimmten Region und Zeit.

  • Definition: In diesem Zusammenhang umfasst Kultur alles, was eine Gruppe von Menschen im Laufe der Zeit entwickelt, wie Werkzeuge, Architektur, Rituale, Sprache, Kunst und gesellschaftliche Strukturen.

  • Merkmale:

    • Kulturen können sich über lange Zeiträume hinweg entwickeln und veränderte Techniken und Materialien anwenden.
    • Auch Gruppen ohne Schrift oder komplexe Staatssysteme gelten als Kulturen.
    • Beispiele für prähistorische Kulturen wären die Megalithkulturen, die Jäger-Sammler-Kulturen, die Bandkeramische Kultur oder die Gravettien-Kultur.
  • Anwendung in der Vorgeschichte: Archäologen sprechen von einer Kultur, wenn sie anhand von materiellen Funden (wie Keramik, Werkzeuge, Begräbnisse, Siedlungen) bestimmte Merkmale erkennen, die eine gemeinsame Lebensweise oder Technik aufzeigen. Dies bezieht sich häufig auf Gruppen, die eine ähnliche Art von Werkzeugen oder Architektur entwickelten, ohne eine hochentwickelte soziale Ordnung oder Schriftsystem zu haben.

2. Zivilisation:

Der Begriff Zivilisation bezieht sich auf eine fortgeschrittenere Form der menschlichen Gesellschaft, die durch komplexe soziale Strukturen, politische Organisation und fortschrittliche Technologien gekennzeichnet ist.

  • Definition: Eine Zivilisation entsteht in der Regel dann, wenn eine Gesellschaft institutionalisierte Herrschaftsstrukturen, eine Schrift und eine komplexe Arbeitsteilung entwickelt hat. Zivilisationen haben oft größere Städte, organisierten Handel, Rechtssysteme, spezialisierte Berufe und schriftliche Aufzeichnungen.

  • Merkmale:

    • Eine Zivilisation zeichnet sich oft durch die Entwicklung von Städten oder urbanen Zentren aus.
    • Zivilisationen haben eine Stratifizierung der Gesellschaft (vertikale Klassenstruktur), d. h. soziale Klassen und spezialisierte Arbeitsrollen.
    • Sie sind in der Lage, komplexe Infrastrukturen wie Bewässerungssysteme oder Straßen zu bauen.
    • Oft haben sie eine schriftliche Tradition, was den Übergang von der Vorgeschichte in die Geschichte markiert.
    • Beispiele für prähistorische Zivilisationen sind die Sumerer in Mesopotamien, die Ägypter und die Harappa-Kultur im Industal.
  • Anwendung in der Vorgeschichte: Eine Zivilisation entsteht typischerweise aus einer Kultur, die in agrarischen Gesellschaften beginnt, komplexere soziale und politische Strukturen entwickelt und Schrift, Bürokratie und Städtebau einführt.

Unterschied in der Anwendung:

  1. Kultur:

    • Eine Kultur existiert häufig ohne eine zentrale politische Autorität oder organisierte Institutionen.
    • Kulturen sind oft kleinräumig und können von nomadischen oder sesshaften Gruppen ausgeübt werden.
    • Der Begriff wird häufig verwendet, um Jäger-Sammler-Gemeinschaften oder sesshafte bäuerliche Gesellschaften zu beschreiben, die keine komplexe soziale Organisation oder Schrift entwickelt haben.
    • Beispiel: Die Linearbandkeramische Kultur (ca. 5500–4500 v. Chr.) in Europa, die eine bäuerliche Lebensweise mit gemeinsamen Keramikstilen, Siedlungen und Anbaumethoden entwickelte, jedoch keine Schrift oder zentralisierten Herrschaftsstrukturen besaß.
  2. Zivilisation:

    • Eine Zivilisation hat oft eine zentrale Regierung oder eine hierarchische Struktur, die soziale Klassen und spezialisierte Berufe hervorbringt.
    • Sie baut auf technologischen und organisatorischen Innovationen auf, wie dem Städtebau, einem Rechts- und Verwaltungssystem und der Schrift.
    • Der Begriff wird häufig für agrarische Gesellschaften verwendet, die über komplexe soziale Systeme und städtische Zentren verfügen.
    • Beispiel: Die sumerische Zivilisation (ca. 3500 v. Chr.) in Mesopotamien, die als eine der ersten Kulturen galt, die Schrift (Keilschrift) entwickelte, Stadtstaaten wie Ur und Uruk gründete und komplexe Bewässerungssysteme betrieb.

Wann wird in der Vorgeschichte von einer Zivilisation gesprochen?

  • Wenn eine Gruppe von Menschen Städte und städtische Zentren entwickelt.
  • Wenn es organisierte Regierungen, Rechtssysteme und eine stratifikierte Gesellschaft gibt.
  • Wenn es Schrift oder eine Form der Aufzeichnung gibt (was oft als der Übergang von der Vorgeschichte zur Geschichte angesehen wird).
  • Wenn es eine fortschrittliche Arbeitsteilung gibt, bei der verschiedene Berufe und spezialisierte Handwerke existieren.
  • Wenn es monumentale Bauwerke (wie Tempel, Paläste) gibt, die auf eine organisierte staatliche oder religiöse Struktur hinweisen.

Fazit:

  • Kulturen sind weiter verbreitet und umfassender in der Vorgeschichte, besonders in der Steinzeit, da viele Jäger-Sammler- und frühe Bauernkulturen keine komplexen sozialen Hierarchien oder Schrift entwickelten.
  • Zivilisationen entstehen später, oft in der Bronzezeit, und sind durch die Entwicklung von Städten, Verwaltungssystemen, Schrift und sozialen Hierarchien gekennzeichnet.

Die Definition von Kultur und Natur gehört dazu!

Ich vertrete allerdings die Auffassung, wenn wir uns dem Thema von Kultur und Zivilisation nähern wollen, dann müssen wir auch den Unterschied von Natur und Kultur definieren. Damit ich hier an dieser Stelle dieses Sachverhalts nicht ausufern werden muss, empfehle ich zum Studium das Büchlein von:
Marshall Sahlins; Das Menschenbild des Westens – Ein Missverständnis?, übersetzt von Übersetzung: Andreas L. Hofbauer (Taschenbuch, 206 Seiten)

Marshall Sahlins' Buch "Das Menschenbild des Westens: Ein Missverständnis?" beschäftigt sich kritisch mit der westlichen Vorstellung von der menschlichen Natur. In diesem Werk hinterfragt Sahlins die weitverbreitete Auffassung, dass der Mensch von Natur aus gewalttätig und egoistisch sei und daher kulturelle und soziale Regeln benötigt, um nicht in Chaos zu verfallen. Er argumentiert, dass diese Sichtweise ein fundamentales Missverständnis darstellt und nicht universell ist, sondern eine spezifische westliche Projektion auf die menschliche Natur darstellt.

Sahlins geht dabei auf verschiedene Kulturen ein, um zu zeigen, dass es alternative Auffassungen über den Menschen gibt, die ihn nicht primär als von Natur aus egoistisch sehen, sondern als sozial und kooperativ. In seinen ethnologischen Untersuchungen zeigt er auf, dass das westliche Modell des Menschen nicht auf alle Gesellschaften zutrifft, sondern historisch und kulturell bedingt ist​.

Sahlin kommt am Ende zum Schluss, dass die Kultur die Natur des Menschen ist ... woraus folgt (vermute ich), dass auch die Zivilisation zur Natur des Menschen gehört.
Nicht glaube ich, dass die Zivilisation einer langen Kulturentwicklung vorausgehen muss. So merkwürdig, wie es klingen mag: Die Zivilisation kann genau so gut auch sprunghaft erfolgen, wie etwa die Entstehung von Kulturpflanzen.

Die Theoretiker

Die Konzepte von Kultur und Zivilisation wurden von verschiedenen Wissenschaftlern geprägt. Hier sind einige der prominentesten Denker, die diese Begriffe definiert und interpretiert haben:

1. Edward Burnett Tylor

  • Definition von Kultur: Tylor gilt als einer der Begründer der modernen Kulturwissenschaft. In seinem Werk "Primitive Culture" (1871) definierte er Kultur als "das komplexe Ganze, das Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Brauch und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die der Mensch als Mitglied einer Gesellschaft erworben hat."
  • Bedeutung: Er sah Kultur als etwas, das alle Gesellschaften gemeinsam haben, unabhängig vom Entwicklungsstand, und betonte die universelle Natur kultureller Entwicklung.
Edward Burnett Tylor
Edward Burnett Tylor (1832–1917)

2. Oswald Spengler

  • Unterscheidung von Kultur und Zivilisation: In seinem Werk "Der Untergang des Abendlandes" (1918–1922) unterschied Spengler zwischen Kultur und Zivilisation. Kultur bezeichnete für ihn die kreative, organische Phase eines Volkes, während Zivilisation die spätere, dekadente Phase darstellt, in der die Gesellschaft stagnierte und weniger kreativ wurde.
  • Bedeutung: Spenglers Unterscheidung betont die Dynamik und den Wandel menschlicher Gesellschaften und die unterschiedlichen Entwicklungsstadien von Kultur und Zivilisation.
Oswald Spengler
Oswald Spengler (1880–1936)

3. Norbert Elias

  • Zivilisationstheorie: In seinem Werk "Über den Prozess der Zivilisation" (1939) entwickelte Elias die Vorstellung, dass Zivilisation ein langer Prozess der Verhaltensregulierung ist, der durch zunehmende soziale Komplexität und Abhängigkeit von Regeln und Normen gekennzeichnet ist.
  • Bedeutung: Elias betrachtete Zivilisation als einen fortlaufenden Prozess, der mit der Kontrolle von Affekten und Emotionen sowie der Schaffung von stabilen sozialen Strukturen zusammenhängt.
Norbert Elias (1897–1990)

4. Arnold Toynbee (1889–1975):

  • Kultur und Zivilisation: In seinem Werk "A Study of History" (1934–1961) untersuchte Toynbee den Aufstieg und Fall von Zivilisationen. Er betonte, dass Zivilisationen nicht nur durch äußere Einflüsse zerfallen, sondern oft an inneren sozialen und kulturellen Herausforderungen scheitern.
  • Bedeutung: Toynbee sah den Niedergang von Zivilisationen als Teil eines zyklischen Prozesses, bei dem kulturelle und zivilisatorische Werte zentral sind.

5. Claude Lévi-Strauss (1908–2009):

  • Kultur und Struktur: Lévi-Strauss, ein bedeutender Strukturalist, untersuchte, wie Kulturen durch symbolische Strukturen wie Sprache, Mythen und Rituale geformt werden. In seinem Werk "Strukturale Anthropologie" (1958) hob er hervor, dass die universellen Strukturen der menschlichen Gesellschaften grundlegender sind als die Unterschiede zwischen Kulturen und Zivilisationen.
  • Bedeutung: Lévi-Strauss hat das Verständnis von Kultur durch seine Betonung der Struktur und Symbolik erweitert.

6. Samuel P. Huntington (1927–2008):

  • The Clash of Civilizations: In seinem Werk "The Clash of Civilizations" (1996) analysierte Huntington den modernen Begriff von Zivilisationen und argumentierte, dass zukünftige Konflikte hauptsächlich zwischen verschiedenen Zivilisationen und nicht zwischen Nationen stattfinden würden.
  • Bedeutung: Huntington erweiterte den Begriff der Zivilisation, um globale kulturelle und religiöse Unterschiede im 21. Jahrhundert zu verstehen.

Diese Denker haben die Unterscheidung und die Definitionen von Kultur und Zivilisation auf unterschiedliche Weise geprägt, wobei einige sich auf die kulturellen Werte und kreativen Entwicklungen konzentrierten und andere auf die sozialen und politischen Strukturen, die Zivilisationen definieren.

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